Wettbewerb mit Vision

Anfang Juni 2024 versammelt sich eine Gruppe von Menschen in einer Turnhalle in Frauenfeld im Kanton Thurgau. Was sie verbindet? Ihr gemeinsames Engagement für ein Projekt, das Pädagogik und Architektur in enger Verbindung zueinander neu denkt.

Campuserweiterung wird zur Horizonterweiterung
Der im Grünen gelegene Campus der Kantonsschule Romanshorn durchläuft einen Transformationsprozess: Einerseits steigt die Anzahl der Schülerschaft und andererseits verändern sich die Anforderungen an Lehr- und Lernumgebung. Obwohl die Schulanlage kontinuierlich modernisiert und erweitert wurde, erfüllen die aktuellen Gebäude die heutigen Anforderungen nicht mehr. Die Vielfalt der Unterrichtsmethoden und die wachsende Bedeutung der Digitalisierung im Unterrichtswesen führen dazu, dass der Unterricht an der Schule der Zukunft zunehmend kompetenzorientiert und selbstorganisiert stattfinden wird. Neue bauliche Konzepte müssen sich aus diesem veränderten Lehr- und Lernverständnis entwickeln.
Um ein innovatives und flexibles Schulgebäude zu entwickeln, das auf die künftigen Bedürfnisse reagieren kann, hat der Kanton Thurgau einen offenen und anonymen, einstufigen Projektwettbewerb durchgeführt. Solche Architekturwettbewerbe sind ein zentrales Instrument, um innovative und qualitativ hochwertige Lösungen für bauliche und planerische Fragestellungen zu finden. Diesen spannenden Wettbewerb durften wir in der Rolle als Verfahrensbegleiterin mit durchführen.

Feste Qualitätsstandards und kreative Freiheit – wie passt das zusammen?
«Zu Beginn stellte sich die Frage, wie wir den Architekturteams die unterschiedlichen Aufgabenstellungen so vermitteln können, dass am Ende ein überzeugender Vorschlag entsteht, der alle Anforderungen integral umsetzt.», erklärt Christoph Rothenhöfer. Das heisst: Einerseits brauchte es klare Qualitätsvorgaben und andererseits genügend Raum für neue Wege und kreative Gestaltungsfreiheit.
Für einen solchen Spagat lohnt es sich, gleich zu Beginn in einen Dialog zu treten. Und dazu wählten wir einen unkonventionellen Weg: Ein Gespräch zwischen dem Rektor der Kantonsschule Romanshorn, Stefan Schneider, und unserem Experten für Lernkonzepte Andreas Sägesser wurde von unserer Grafik-Designerin Romina Pilloni als «Visual Podcast» aufbereitet und den Bewerber:innen bereitgestellt. Zentraler Ausgangspunkt war dabei die Frage, wie die Lernprozesse an der Schule der Zukunft ablaufen könnten. «Wir waren gespannt, wie die Architekturteams diese Vorstellungen in passende bauliche Konzepte übersetzen würden.», bringt es Andreas Sägesser auf den Punkt. Und siehe da: Das Konzept von Lernlandschaften mit kollektiven und individuellen Lernsituationen wurde in vielen Beiträgen als zentrales Thema übernommen.

«Die Planungsaufgabe begeisterte nicht nur uns, sie stiess auch in der Architekturszene auf Anklang.»
David Sorg
Ganze 49 Beiträge wurden eingereicht. Umso wichtiger war es, der Jury fundierte Entscheidungsgrundlagen zu liefern und einen raschen Überblick zu verschaffen. So konnten sich die Juror:innen auf uns verlassen, um sich ganz auf die komplexen Bewertungskriterien konzentrieren zu können. Dazu gehörte etwa die Bewertung der Qualität von Lernlandschaften oder des Freiraumkonzepts, die in einem Dialogprozess zwischen den Jurymitgliedern abgewogen und bewertet wurden, um schliesslich das Siegerprojekt zu identifizieren.
WINKELSCHLAG für Romanshorn
Die Jury kam zweimal zusammen, um die Projekte intensiv zu diskutieren und zu vergleichen. Nach gründlicher Evaluierung entschied sie sich einstimmig für das Projekt WINKELSCHLAG der Gerber Architekten GmbH. Das Projekt überzeugte, indem es die pädagogischen Ansätze architektonisch optimal umsetzt, eine gute Wirtschaftlichkeit aufweist, bauliche Reserven bereithält und sich mit einer attraktiven Freiraumgestaltung ideal in die Umgebung einfügt.

Architektur wird durch Kultur belebt
«Um einen so diversen Architekturwettbewerb zu stemmen, braucht es ein grosses Mass an Flexibilität, um auf die Projektdynamik und neue Herausforderungen reagieren zu können.», reflektiert Janine Arnold, welche als angehende Architektin und ausgebildete Kunstpädagogin ihre didaktischen sowie bauplanerischen Kompetenzen in den Prozess der Wettbewerbsbegleitung einbrachte.
Mit dem Stichwort Flexibilität spricht Janine Arnold einen zentralen Aspekt im Projekt an. Ermöglichte der Architekturwettbewerb das Konzipieren und Finden möglicher Räume für das Lernen und Lehren von Morgen, so wichtig ist nun die Auseinandersetzung mit der Frage, wie diese Räume bespielt werden können. Oder wie Andreas Sägesser es beschreibt: «Auf Grundlage der architektonischen Struktur können wir jetzt in einen Lernkultur-Weiterentwicklungsprozess starten.»
Per 2025 begleiten wir im Auftrag des Kantons Thurgau das Projekt weiter als Beraterin. Die architektonischen Rahmenbedingungen sind erfüllt, nun werden die geplanten Räume auf die Bedürfnisse jener abgestimmt, welche sie in Zukunft tagtäglich nutzen werden: Schüler:innen und Lehrer:innen, sowie Mitarbeitende des Schulbetriebs. Andreas Sägesser startet einen partizipativen und dialogischen Prozess, um Erfahrungen und Erwartungen dieser zentralen Stakeholder sichtbar zu machen und einfliessen zu lassen. Denn am Ende liegt die Qualität der architektonischen Lösung in der Art und Weise, wie sie die Kultur des künftigen Lernens und Lehrens fördert.