«Wenn der Berg ruft»

Isabel Blatter nimmt uns mit in die Höhe: Als begeisterte Ski- und Bergtourengängerin weiss sie, was es dazu im Rucksack braucht. Wie sie zu dieser Passion gekommen ist, was sie motiviert und was Teamwork und Nussgipfel damit zu tun haben, erzählt sie uns im Porträt.

«Es kitzelt mich, immer wieder neue Wege auszuprobieren.»
Isabel, wie bist du dazu gekommen, regelmässige Berg- und Skitouren durchzuführen?
Meine Faszination für die Welt der Berge ist schon immer da gewesen, wenn ich es mir so überlege. Als Kind und Jugendliche habe ich beispielsweise Kletterkurse besucht und – kennen wir es nicht alle? – mit meinen Eltern «musste» ich oft wandern. Weiterentwickelt zu Berg- und Skitouren hat sich dieses Interesse durch meine Begeisterung für die Bergwelt und mein Umfeld: Viele in meinem Freundes- und Bekanntenkreis teilen meine Liebe für die Höhe. Ausserdem kitzelt es mich, immer wieder neue Wege auf einen Gipfel oder durch ein verschneites Tal zu finden. Da lasse ich mich von meiner grossen Neugier leiten. Beides, egal ob Ski- oder Bergtouren, erfordert aber eine grosse Hingabe: Du musst dranbleiben.
Wenn wir gerade dabei sind: Was muss man unbedingt übers Berg- und Skitouren wissen? Du hast vom Dranbleiben gesprochen, was meinst du damit?
Jede Tour braucht eine gewisse Vorbereitung. Ich kann nicht aus heiterem Himmel entscheiden: «So, jetzt geh ich auf einen Berg!» Also natürlich kann ich das, aber es braucht Erfahrung, eine physische und mentale Fitness sowie eine gewisse Routine. Damit meine ich beispielsweise Lawinenübungen, die ich jede Saison besuche oder mit meinen Touren-Gefährtinnen und -Gefährten durchführe und Notfall-Situationen nachstelle.
Alleine würde ich nie auf eine Tour gehen, da es unverantwortlich ist. Ausserdem ist das Touren für mich der Inbegriff von Teamwork. Im Notfall, sagen wir, ich bin mit befreundeten Personen auf einer Skitour und eine Lawine wird ausgelöst, dann müssen alle schnell und präzise handeln. Du musst deine Handgriffe und dein Gegenüber kennen, um keine wertvolle Zeit zu verlieren. Im Schnitt reicht der Sauerstoff unter dem Schnee bis zu 15 Minuten. Als Team spielen wir diesen Notfall darum immer wieder durch, damit wir automatisch wissen, was, wie, wo zu tun ist.
Skitour Julierpass, Kanton Graubünden, Schweiz (oben)
Engelhörner, Kanton Bern, Schweiz (rechts)

Da würde ich gerne gleich einhaken: Was sind Herausforderungen für dich?
Neben der erwähnten Aufmerksamkeit, die dich auf jede Tour begleiten sollte – egal wie erfahren du bist – können manchmal auch die Dynamiken in einer Touren-Gruppe echt herausfordernd sein. Eine Tour, die mich diesbezüglich besonders geprägt hat, fand 2023 auf dem Tödi statt. Es war eine mehrtägige Hochtour bei Föhnlage und entsprechend schwierigen Verhältnissen. Ich war in einer Gruppe unterwegs, die einiges mehr an Erfahrung mitbrachte als ich. Da das Wetter wechselhaft war, mussten wir immer wieder anhalten und die Situation neu einschätzen. Mir war ziemlich bald ziemlich mulmig zumute: So richtig wohl fühlte ich mich nicht mehr. Da half es nicht, dass die Gruppe die Lage ständig anders eingeschätzt hat als ich. Während ich eher umdrehen wollte, sprach sich die Gruppe fürs Weitergehen aus. Das löste Stress aus und ich begann mich zu fragen, weshalb in aller Welt tue ich mir dies eigentlich an? Diese stille Auseinandersetzung mit meiner Verunsicherung und meinem Zweifeln führte mich aber schliesslich zurück ins Vertrauen – sowohl in mich als auch in die Gruppe. Auf dieser Tour mit ihren verschiedenen Herausforderungen konnte ich sehr viel lernen: über mich und über mein Hobby!
Das klingt nach Nervenkitzel! Was nimmst du denn aus deinen Ausflügen in die Höhe für dich mit?
Du meinst neben dem Nervenkitzel? (lacht.) Tatsächlich geben mir diese Touren grosse innere Ruhe und Zufriedenheit. Ich tauche in eine andere Welt ab, fernab von Trubel, von To-Dos und sonstigen Gedanken. Mich begeistert die Landschaft, die Erhabenheit der Berge, das Unberührte und Wilde. Ich bin dann voll im Moment, unterwegs mit Freund:innen, mit denen ich eine Tour anpacke und etwas erreiche. Das ist ein beflügelndes Gefühl, das ich auch in meinen Alltag mitnehmen kann. Dabei bin ich nicht einmal speziell scharf auf den Gipfel, es ist mehr das gemeinsame Erlebnis und die Eindrücke der Tour von Anfang bis Schluss, die mich so erfüllen.

«Der Nussgipfel am Morgen muss schon sein!»
Hast du einen Lieblingsmoment, den du teilen möchtest?
Ein wunderschönes Erlebnis hatte ich auf einer Sommerhochtour auf das Lagginhorn, ein 4000 m hoher Gipfel im Wallis. Der erste Teil des Aufstiegs findet vor Sonnenaufgang statt: In Dunkelheit steigst du mit Taschenlampe auf einen Grat in 3500 m Höhe entlang einer Schneeflanke. Und dann, wenn du schon fast durchgefroren bist, erreichst du den Grat und blickst auf die italienische Seite der Alpen der aufgehenden Sonne entgegen. Alle Gipfel, die dich umgeben, beginnen rot zu glühen. Es ist einfach magisch, im feurigen Sonnenaufgang diesen ausgesetzten Grat während den nächsten 12 Stunden zu beklettern. Das ist jetzt nur einer von vielen berührenden Momenten, die ich auf meinen Touren schon erleben durfte.
Das klingt beeindruckend! Eine letzte Frage noch: Hast du Rituale, die dir bei der Vorbereitung auf so eine Tour helfen?
Also der Nussgipfel am Morgen muss schon sein! Ansonsten ist es mir wichtig, bereits am Abend vorher zu packen. Am Morgen muss ich oft früh aus dem Haus und erst dann zu packen und dabei an alles zu denken… Da kann schnell mal etwas vergessen gehen. Ausgeschlafen startet man eigentlich nie auf eine Tour. Ausserdem habe ich immer meinen Notfall-Biwaksack dabei, egal was ich in den Bergen unternehme. Das ist ein Isoliersack, der dir im Notfall Wärme spendet. Wenig Schlaf und etwas Notfall-Wärme sind also sehr verlässliche Begleiter!
Engelhörner, Kanton Bern, Schweiz